diavolessaprincessa - Schweig, liebste Fremde
 

Home
Schreibt mir! :)
Fotooos~
Schreibkrams..
=> Schweig, liebste Fremde
=> Das fremde Mädchen
=> Der letzte Moment
=> Ich wünsche mir die Ewigkeit
=> Gefangen
=> Absturz
=> In der Ewigkeit des Mondes
=> Meine Dunkelheit
=> Nichts

1

Sie saß im Restaurant und hörte die Mailboxnachricht von ihrem Exfreund schon zum siebzehnten Mal an. Die Nachricht, die diesen Moment zum Tiefpunkt machte, in der er ihr erklärte, warum sie schon seit Stunden vergebens dort auf ihn wartete, die Nachricht, in der er nach eineinhalb Jahren geteilter Freude und Sorgen ihre Beziehung beendete. Nun saß sie immer noch hier und konnte nicht mal weinen. Sie starrte nur in ihr zum x-ten Mal geleertes Weinglas und fragte sich, was zum Teufel sie in den letzten Monaten ihrer Beziehung nicht mitgeschnitten hatte. Ohne Erfolg.

Als es bereits dunkel war, betraten drei in schwarze Mäntel gehüllte Männer das Lokal und der herbstliche Wind wehte ein rotes Ahornblatt durch den kleinen Schlitz der zufallenden Tür, ließ es herumwirbeln und dann auf dem ebenso roten Boden unbemerkt nieder gleiten. Du bist wie ich, kleines Blatt, total durch den Wind und niemand bemerkt es, spukte es ihr durch den Kopf.

Doch irgendwann bemerkte sie ihn: Er war einer der Männer in Schwarz. Seine leuchtend grünen Augen schienen jedes noch so kleine Detail in sich aufzusaugen und alle Regungen in dem Lokal verfolgen zu können. So sah er auch sie an. In diesem Moment fühlte sie sich, als fiele sie in ein tiefes, flammendes Loch, das direkt in seine Seele führen würde. Ein unfassbares Kribbeln durchrann ihren Körper, jedes Mal, wenn ihre Blicke sich berührten, und sie wusste nicht, ob sie es genießen oder wegschieben sollte, so seltsam erschien ihr dieses Gefühl.

Während er sich mit seinen zwei Begleitern unterhielt und ein Gläschen Bordeaux trank, beobachtete er sie immer wieder, um ihr irgendwann ein tiefes Lächeln zu schenken. Seine schmalen, geschwungenen Lippen wurden von einem leicht lockigen, dunklen Bart umrahmt, der die gleiche Beschaffenheit wie die langen Locken, die unter seiner schwarzen Wollmütze hervorlugten, zu haben schien. Himmel, was für ein Mann. Nachdem sie Stunden damit verbracht hatte, krampfhaft zu grübeln und sich zu zerbrechen, waren nun alle Gedanken an ihren Exfreund wie weggeblasen, dieser Fremde hatte eine nahezu magische Wirkung auf sie. Sein Blick pflanzte ihr ganz andere, ihr fremd erscheinende Gedanken ein und weckte in ihr ein Verlangen, das ihren gesamten Körper unter pure Hitze setzte. Nach schier unendlicher Zeit, die sie ihn anstarrte, erhoben die drei Männer sich, um an den Tresen zu schlendern, weil sie dort ein weiterer Typ in schwarz erwartete.

 

Seine Bewegungen waren geschmeidig wie die eines Wolfes. Bitte geh’ nicht, dachte sie wehmütig, und atmete tief, als ihr beim Vorbeigehen sein Duft flüchtig in die Nase stieg und sie dabei eine Gänsehaut bekam. Als er aus ihrem Sichtfeld verschwunden war, drehte sie ihren Kopf leicht zur Seite, um ihn im Augenwinkel beobachten zu können.

Er lehnte lässig und elegant an der Bar und schaute während seiner Unterhaltung hin und wieder zu ihr, seine Augen glühten und fixierten sie, sodass sie kaum zu atmen wagte. Irgendwann machte er kehrt und kam anmutig auf sie zugeschritten. Ihr Herz pochte so sehr, dass sie befürchtete, es würde ihr jeden Moment die Brust zersprengen, als er ihr schon so nahe war, dass sie nun eindeutig seinen männlich-herben Geruch tief einatmen konnte. Was geschah hier nur? Verrückterweise setzte er sich zu ihr an den Tisch, auf den Platz, wo heute Mittag eigentlich ihr Exfreund hätte sitzen sollen. Hin und her gerissen, ob sie sich freuen oder vor lauter Aufregung wegrennen sollte, knüllte sie ihre Serviette ganz klein zusammen.

"Hi" begrüßte er sie tief und sinnlich, mit einem so unwiderstehlichen Lächeln, dass sie nur ein atemloses "Hi" zurückhauchen konnte. In ihr entflammte eine ungekannte Leidenschaft; ihr Puls raste und ein Feuer brannte in ihrem Gesicht, als er mit dem Stuhl näher an den Tisch heran rückte und mit einer Hand unter dem Tisch durch an ihr Knie langte, zwar sanft, jedoch einen Vulkan auslösend. Dabei atmete sie schwer aus und wurde noch im selben Moment feucht. Der Mann mit den leuchtenden Augen bemerkte ihre heftige Reaktion und konnte sich ein freudig bestätigtes, selbstbewusstes Grinsen nicht verkneifen. Mit schnellen Fingern schlüpfte er unter ihren Rock und tastete sich bis zu ihrer intimsten Stelle vor. Oh, was tue ich hier nur?, flüchtete es ihr durch den Kopf und sie wollte sich eigentlich gegen diese Unverschämtheit wehren, die hier inmitten eines vollen Restaurants geschah, von einem Haufen Menschen umgeben, doch ihr Körper gehorchte ihr nicht. Statt zu tun, was jeder normale Mensch in einer solchen Situation tun würde, nämlich empört vom Tisch aufzustehen und beschämt nach Hause zu laufen, lehnte ihr Körper sich zurück, spreizte die Beine und streckte ihren Unterleib seinen rauen Händen entgegen. Erneut bestätigt lächelte er nun noch mal, diesmal breiter, sinnlicher, und entblößte eine Reihe kleiner, hübscher Zähne mit einer schmalen Lücke zwischen den beiden vorderen Schneidezähnen. Wie im Zusammenspiel eines Orchesters flammte das Grün in den Augen des Fremden auf, als würde es noch grüner, und zog einen dunklen Kringel um die Iris. Was geschieht mit mir? Warum bin ich nur so schamlos... Und warum zieht dieser Mann mich so in seinen Bann, dass ich mich ihm nicht mal ansatzweise entziehen kann?, doch ihre Gedanken wurden von einem nächsten Schwall Hitze beiseite gefegt, als seine Finger unter das kleine, zarte Dreieck ihres Slips glitten, um ihre Klitoris so zu berühren, als hätte er niemals etwas anderes getan, als Frauen Lust zu bereiten. Entspannt ließ sie sich nun gehen, begann leise zu stöhnen und genoss die Erregung, die jetzt überall durch ihre Adern floss und sich durch die Blicke und den Duft dieses Mannes bis ins unermessliche steigerte. Irgendwann kribbelte es so unerträglich in ihr, dass sie ihr Weinglas so fest umklammerte, dass sie befürchtete, es würde jeden Moment zerspringen; sie stand kurz vor einem Höhepunkt. Der Fremde bemerkte dies, zog sich mit einem frechen, selbstgefälligen, aber unglaublich charmanten Lächeln zurück, leckte sich die Finger ab und ging zu seinen Begleitern zurück, um sie mit all ihren ungestillten Gelüsten und Schamgefühlen allein zu lassen. Sie fühlte, wie ihr Kopf immer hochroter anlief, während sie mehr und mehr wieder zu sich kam und sich fragte, was zur Hölle gerade in sie gefahren war. Ihr Gesicht hielt sie gesenkt, um nicht womöglich Erkenntnis in den Gesichtern der Anderen zu lesen, über das, was sie hier hatte mit sich machen lassen.

 

Eine Weile später spürte sie ihn von der Seite nahen. Die drei wollten das Lokal verlassen. Der Fremde trat nochmals an sie heran, um ihr zur Verabschiedung einen leidenschaftlichen Handkuss und einen viel versprechenden, lusterfüllten, fast schon teuflischen Blick zu schenken. Dann drehte er sich um und wehte durch die Tür zur Nacht hinaus. Wieder wirbelte das Ahornblatt auf und sie verspürte den Verdacht, dass sie selbst nun genauso rot war wie dieses. Und sie saß da, war immer noch unendlich erhitzt und wusste nicht, was sie tun sollte.

 

2

Der Wecker. Und tausend Gedanken. War der gestrige Tag wirklich? Oder war das alles nur ein unfassbarer Traum? Noch müde in den Knochen setzte sie sich auf und kramte ihr Mobiltelefon aus der schwarzen Lederhandtasche, die neben dem Kopfende ihres großen Bettes stand. Tatsächlich. Die Nachricht von ihrem Exfreund war auf der Mailbox ihres Handys gespeichert. Also kann das seltsam schockierende Erlebnis mit dem fremden Mann auch keine Fiktion gewesen sein. Scheiße. Sie sah auf die Uhr. Zehn nach neun. In zwanzig Minuten müsste sie bei ihrer Mutter zum Sonntagsfrühstück sein. Aber sie hatte so gar keine Lust. Lieber wollte sie den ganzen Tag im Bett bleiben, heulen und sich „Ritter aus Leidenschaft“ auf DVD ansehen, oder „Liebe braucht keine Ferien“, oder irgendwelche anderen Liebesschnulzen. Erneut hörte sie die Nachricht ihres Exfreundes an und vermisste ihn, vermisste seine Stimme, seinen Geruch, seine vertraute Umarmung, seine Finger, die sie so oft schon verwöhnt hatten. Da schoss ihr wieder ihre außergewöhnliche Begegnung vom Vorabend in den Sinn. Noch niemals hatte sie sich so benommen. Sogar jetzt im Nachhinein stieg ihr ein wenig die Röte ins Gesicht, wenn sie darüber nachdachte, dass sie sich hatte von einem Fremden hatte anfassen lassen und es auch noch genossen hatte. Wahnsinn, der Typ hatte irgendwas Faszinierendes an sich. Doch dieser Mann mit den unfassbar grünen Augen würde ihr wohl kaum jemals noch einmal begegnen, also entschied sie sich für eine kühle, ernüchternde Dusche, bevor sie bei ihrer Mutter aufkreuzte.

 

Dort lies sie sich gehen. Ihre Mama hörte sich die Worte ihrer Tochter an, fing ihre Tränen in ihrem Kleid auf und streichelte ihr Haar, bis der schlimmste Schwall Traurigkeit abgeebbt war. Danach gingen sie beide ins Kino, um sich eine Komödie anzusehen und die Tränen zu vergessen.

Erstaunlicherweise waren diese Tränen nicht nur vergessen, sondern versiegt. Wachte sie auch morgens immer noch mit einem flauen Gefühl im Magen auf, geweint hatte sie nie wieder um ihren Exfreund.

 

Wochenlang dachte sie noch an ihre Begegnung im Restaurant, doch gab sie irgendwann die Hoffnung auf, ihn wieder zu sehen, und am Freitagabend, fast sechs Wochen später, wollte sie wieder ganz für ihre Freundinnen und - jetzt nach langer Zeit auch wieder - für alle hübschen Typen auf der Piste da sein.

 

Auf dem Weg vom Feiern nach Hause zerstreuten die Frauen sich, jede ging ihren Weg in Richtung ihres Zuhauses. Irgendwann verabschiedete sie an einer Ampel nun auch die letzte ihrer Freundinnen, weil diese dort links abbiegen musste. Auf der anderen Straßenseite angekommen, umschlang plötzlich eine Hand ihren Mund und ihr Kinn. Sofort erkannte sie seinen unwiderstehlichen Geruch und auf der Stelle strömte all ihr Blut schneller, auf dem direkten Wege in ihren Unterleib. Nach außen hin versuchte sie, ruhig zu bleiben, ließ sich in seine Arme sinken. Die ganzen langen Wochen hatte sie vergebens an ihn gedacht und jetzt, wo sie ihn und ihren Ex die ganze Nacht vergessen konnte, tauchte er wieder auf.

Er ließ locker und streifte mit seinen Händen über ihre für diese kalte Herbstnacht spärlich bedeckten Hüften, was ihr ein Kribbeln gleich einem Orkan in den Bauch jagte und ihre Knie - wenn auch kaum merklich - für einen wunderbaren Moment einsacken ließ. Himmel und Hölle, was war das denn..., doch sie konnte gar nicht zu Ende denken, weil er sie zu sich herum drehte. "Hi" stieß er hervor, um dieses kleine Wörtchen sofort mit einem sanften, aber fordernden Kuss zu besiegeln, als wäre es etwas Heiliges. So kurz und doch so intensiv, dass sie flüchtig das Gleichgewicht verlor und alles in ihr aufkochte. Atemlos sah sie ihn an und versank sofort in seinen tiefen Augen. "Hi" antwortete sie und nahm ihn sogleich bei den Händen, schob ihn weiter die Straße entlang, bis sie an ihrem Block stehen blieben, wo sie ihren Schlüssel zückte und sie beide eng umschlungen, sich innig küssend in die Wohnung stolperten. Sofort schmiss er die Tür hinter sich zu und drückte sie an die Wand, wo er sich vor ihr nieder kniete und ihr die Jeans von den Beinen riss. Oh Gott, ich zergehe gleich, konnte sie noch denken, bis ihr Kopf sich abschaltete und sie von seiner Zunge zwischen ihren Beinen ins Land der Lust geführt wurde. Niemals hatte sie solch ein Feuer in sich lodern gespürt. Überall, wo er sie und küsste und über ihre sich fiebrig anfühlende Haut leckte und streichelte, schien sie zu verbrennen, zu explodieren. Doch am Meisten schürte ihre Erregung sein Blick, wie er sie begehrlich betrachtete und mit den Augen jeden Quadratzentimeter ihres Körpers verschlang. Er hob ihre Beine auf seine Schultern und seine Zunge drang in sie ein, bescherte ihr den gewaltigsten Orgasmus, den sie sich hätte vorstellen können.

Als sie glücklich an der Wand hinunter sank, zu ihm, stand er seinerseits auf, streichelte im Vorbeigehen zärtlich ihr Kinn und verschwand.

 

3

Rums. Zu war die Tür. Was machte dieser Mann nur mit ihr? Unglaublich, wie sie sich plötzlich verhielt. Sich einem Fremden so sehr hinzugeben, ohne überhaupt einmal zurück weichen zu können. Und er kam und ging einfach so, wie es ihm passte. Doch irgendwie fand sie es aufregend, dass er sie jetzt für immer hier sitzen lassen oder in jedem Moment wieder überraschen könnte. Verdammt, er wusste nun sogar, wo sie wohnt! Ach, was soll’s, dachte sie dann wiederum, was soll mir schon passieren? Dieser Mann kann alles von mir kriegen, was er will, und selbst wenn er das Ziel hätte, mich irgendwann umzubringen, hätte es sich jetzt schon gelohnt. Halt! Whooa… Was für kranke Gedanken! Junge, Junge. Ich sollte einfach schlafen gehen, ich bin betrunken.

 

Doch schlafen gehen war einfacher gesagt als getan. Die ganze Zeit wälzte sie sich von einer Seite auf die andere und dachte nach. Über ihren Ex, über den seltsamen Fremden, über das Chaos, das in ihrem Inneren hauste. Um sechs Uhr morgens stand sie dann letztendlich auf, alle Hoffnung auf ein wenig Schlaf aufgegeben. In ihrem T-Shirt schlidderte sie barfuss über den Parkettboden ihrer Zweiraumwohnung zur HiFi-Anlage im Wohnzimmer, ließ die Tür offen stehen und schmiss eine CD rein, Kings of Leon, und schaltete sofort unbewusst zum Lied „Sex on fire“ und drehte laut auf. Mit geschlossenen Augen und verschränkten Armen stand sie neben der Anlage und lauschte der Musik, tippelte mit den Zehen leicht im Takt mit, bis sie irgendwann lächeln musste, weil sie registrierte, welches Lied sie sich eigentlich ausgesucht hatte, allein nur des Titels wegen. Dann holte sie einige Male tief Luft, nahm Anlauf und schmiss sich wieder auf ihr Bett, die Arme ausgebreitet, mit dem Gesicht genau in die Kissen. Eine Weile hörte sie einfach nur Musik, bis sie sich dann irgendwann mit mürben Gliedern hoch bewegte, um die CD zu wechseln, als die erste bereits zu ende war. Diesmal entschied sie sich für die Counting Crows, zog dann die Vorhänge von den Wohnzimmerfenstern zur Seite und beobachtete den vernebelten, aber wunderschön orange leuchtenden Sonnenaufgang. Irgendwann öffnete sie eins der Fenster und ließ die kühle, süßliche Morgenluft hinein. Ihre nackten Beine froren, doch sie genoss das nur, schloss wieder die Augen, ließ die neugeborenen Sonnenstrahlen ihr Gesicht streicheln und roch den Geruch von unverbrauchter Luft, vermischt mit dem Duft von frischgebackenen Bäckerbrötchen und Bergnebel - und in ihr wurde alles entspannt und ruhig, als wäre auch sie nichts weiter als ein kleiner, wärmender Sonnenstrahl im jungen bunten Herbst.

 

Hinterher wusste sie selbst nicht mehr, wie lange sie so dagestanden hatte, irgendwann wurden aber ihre Beine sehr kalt und die kleinen Straßen langsam belebter, als sie wieder in der irdischen Welt war, weil nämlich ihr Telefon schrill klingelte. Sie nahm ab, am anderen Ende war irgendeiner ihrer Versicherungsheinis, eigentlich war das zwar wichtig, doch jetzt nicht, nicht an diesem magischen Morgen. Noch während ihr Versicherungszuständiger sich vorstellte, legte sie ohne ein Wort zu sagen wieder auf und zog die Leitung. Anschließend kam sie auf die Idee, auch noch ihre Türklingel und ihr Handy auszuschalten und fand sich dann in der Badewanne wieder, die Musik aufgedreht, laut mitsingend und die klopfenden Nachbarn ignorierend. Hach, was für ein herrlicher Start in den Tag, dachte sie verträumt, wenn jetzt noch der Mann mit den glühenden Augen hier wäre, hier unter meiner Schaumdecke, oh Mann, dann könnte mich die ganze Welt für immer am Arsch lecken.

 

Am Montagmorgen beschwerte sich ihr Chef, dass sie das ganze Wochenende nicht auf eine einzige E-Mail geantwortet hätte. Ach, fick dich, dachte sie verachtend und ging einfach an ihm vorbei, den geistigen Mittelfinger hoch erhoben.

 

Tatsächlich war sie aber die ganzen Tage unaufmerksamer, ihr passierten mehr kleine Fehler als sonst üblich, Aber was soll’s, dachte sie sich irgendwann, vielleicht werde ich ja krank, jeder hat mal eine schlechte Zeit, was weiß denn ich.

Was wirklich mit ihr los war, wurde ihr erst einen Abend später klar. Als es an der Tür klingelte. Als sie, ohne zu fragen, wer vor der Tür stand, gedankenlos den Summer drückte und ihre Wohnungstür öffnete. Als plötzlich der Fremde aus dem Restaurant vor ihr stand.

Ihr stockte der Atem, ihre Gefühle überschlugen sich schlagartig und sie taumelte in seine Arme, während sich die Beiden wieder nur mit einem kurzen, knappen „Hi“ begrüßten und wild knutschend in ihr Schlafzimmer fielen. Oh Gott, ich will diesen Mann, ich will ihn unbedingt, mit Haut und Haar!, hätte sie am liebsten geschrieen, doch sie behielt es für sich und schmolz unter seinen Berührungen wie das Wachs einer Kerze unter ihrer heißen Flamme. Sie wollte ihn spüren, ganz spüren, in sich aufnehmen und verschlingen, und diesmal ließ sie sich mit nichts anderem zufrieden stellen. Oh, er war wie eine schützende Brücke, als er sie liebte, sie hatte das Gefühl, als würde er sie komplett bedecken, während sein Rücken sich beim Liebesspiel immer wieder auf und ab bäumte. Sie schlang die Beine um seine Hüften und zog ihn tiefer zu sich runter, umklammerte ihn, als würde ihr Leben davon abhängen, mit ihm zu schlafen. Auch er gab sich hin, schmiegte seinen Kopf in ihre Brüste, während er sich verausgabte und jeden Moment zu explodieren drohte. Nachdem er gekommen war, verwöhnte er sie noch mit viel Geschicklichkeit so lange und leidenschaftlich, bis sie ihren Höhepunkt erreicht hatte, als ginge es um seine eigene Befriedigung.

Erschöpft sank sie auf seiner Brust nieder, als er mit den Armen ausgebreitet und halb gesenkten Lidern auf ihrem Bett lag und aus dem Fenster nach draußen sah.

Nach einigen mit Schweigen verstrichenen Minuten hob sie ihren Kopf hoch und sah ihm in die Augen, setzte an, etwas zu sagen, doch er legte ihr sachte einen Finger auf die Lippen, als würde er sagen wollen: Zerstöre uns nicht, was wir haben, jetzt und hier. Also fügte sie sich seinem Wunsch, schwieg und sah ihn einfach weiter an. Kurze Zeit später drehte er sich zu ihr, voller Hoffnung wartete sie auf ein paar erlösende Worte von ihm, doch im Gegenteil, er beugte sich über sie, nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie lang und bedächtig. Seine Lippen und seine Zunge fühlten sich an wie Seide auf der Haut, wie Sahne im Mund, wie ein langer Spaziergang im frisch erwachten Frühling. Dann stand er auf, zog sich an und ging zur Tür. Sie begleitete ihn dorthin. Bitte, ich möchte so gern etwas über dich wissen, lass uns ein bisschen erzählen, flehte sie innerlich, bitte, bitte, lass mich hier nicht einfach so stehen, so ungewiss, was als nächstes passieren wird, ungewiss, ob ich dich jemals wieder sehen werde. Doch er blieb nur in der offenen Tür stehen, ließ seinen Blick noch eine Weile lang auf ihr haften, Ein Blick, für den es sich zu sterben lohnt, dachte sie, bis er den Kopf senkte, kehrt machte und vorsichtig die Tür hinter sich schloss. Einen Augenblick lang zögerte sie, eilte dann aber doch hinterher, riss die Tür auf und wollte ihm hinterher rufen, doch er war schon aus der Hauseingangstür gestürzt. Bekümmert drückte sie sich rückwärts wieder in ihre Wohnung und sank auf dem Sofa nieder. Sie schaltete wieder ihre Anlage ein, die CD von den Counting Crows lag noch darin, stellte das Lied „Colourblind“ auf repeat und kämpfte gegen den schmerzhaften Druck in ihrer Brust an. Scheiße, ich kann mich doch nicht in ihn verlieben, ich kenne ihn nicht, nein, ich darf mich nicht in ihn verlieben!, schoss es ihr durch den Kopf - doch ihre Gedanken wurden breiig und verflüssigten sich in Tränen.

 

4

Am nächsten Morgen trottete sie müde und lustlos zur U-Bahn, mit der sie zur Arbeit fahren musste. Verdammt, dafür hatte sie echt keinen Kopf heute, Aber wo man durch muss, muss man durch, sagte sie sich.

 

Am Nachmittag, immer noch mit diesem schrecklichen Druck im Brustkorb stand sie am Bahnsteig und trat von einem Bein auf das andere, in ihren Ohren klang durch die Kopfhörer wieder „Colourblind“ und neben ihr stand ihre Arbeitskollegin und Freundin, die sie ohne Luft zu holen mit allen Möglichen Informationen voll zu stopfen versuchte, doch sie drehte einfach die Musik lauter und hing ihren eigenen Gedanken nach. Als endlich die Bahn kam, verabschiedete sie sich erleichtert von ihrer Freundin und stieg eilig ein.

Je mehr Stationen sie fuhr, umso voller wurde die Bahn. Verdammte Scheiße, könnt ihr nicht alle mit einer anderen Bahn fahren?, dachte sie gereizt, als sie Schulter an Schulter gedrängt mit einem aufdringlich riechenden Typen stand, der sie permanent anglotzte. An der nächsten Station stieg dieser Gott sei Dank aus, und an seine Stelle trat ein langer, schwarzer Mantel, wie sie im Augenwinkel erkennen konnte. Zuerst registrierte sie gar nicht, dass er es war, doch nachdem sie seinen Geruch zwischen den anderen muffigen herausgefiltert hatte, traute sie sich kaum, hoch zu schauen.

Ihr Herz klopfte wie verrückt und alle dummen Gefühle, die sie schon den ganzen Tag begleiteten, waren hinweggefegt. Nachdem sie ziemlich oft tief durchatmen musste, um sich wieder unter Kontrolle zu bringen und nicht vor Freude in Hysterie auszubrechen, drehte sie sich um neunzig Grad und sah an ihm hoch, immer bedacht, nicht zu euphorisch zu sein, bis sie ihn endlich anblickte. Er schien sie schon die ganze Zeit zu beobachten und grinste ein freches Jungen-Grinsen. Oh Scheiße, sie wäre am liebsten in den Boden geschmolzen. „Hi…“ sagte er leise und tief, seine Stimme war rauchig, mit Nachdruck. Unglaublich, wie viel man in dieses kleine Wörtchen legen kann, fiel ihr auf, und um nichts Überflüssiges, Dummes zu sagen, antwortete sie wiederum auch nur ein kleines „Hi!“, bei dem ihr fast ihr Herz und ihr Magen herauspoltern wollten, so fühlte sie sich. Er beugte sich zu ihr nieder und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange und als sie sich wieder ansahen, umspielte erneut ein Lächeln seine Mundwinkel. Weil sie nicht wusste, wie sie reagieren sollte, lächelte sie einfach verträumt zurück. Wie wunderbar sich seine Nähe anfühlte. So leicht und unbeschwert, alles war unwichtig auf der Welt, außer bei ihm zu sein.

Als sie an ihrer Ausstiegsstelle angekommen waren, nickte sie ihm zu, um ihm zu bedeuten, dass er mitkommen könne. Mit einem interessierten Augenbrauenzucken und einem unterdrückten Grinsen nahm er an und folgte ihr. Sein Mantel schwebte vom Wind hin und her, er zog sich die ihr bekannte Wollmütze über den Kopf, die eine Strähne dazu nötigte, in sein Auge zu fallen. Wie in Trance ging sie zurück zu ihm und strich sie ihm liebevoll aus dem Gesicht und blieb eine Weile mit ihrer Hand auf seiner Wange ruhen, ganz in Wohlgefühl versunken. Seine unglaublichen Augen schienen ihr direkt bis in die Seele zu sehen, als würde sie vor ihm alles preisgeben, keine Zweifel hegen, an dem, was ihr das Leuchten in diesen Augen versprach. Einfach nur ewig in seinen Augen versunken bleiben, die Welt anhalten und nur für sie zwei da sein lassen, das war alles, was sie wollte.

Während sie sich eine ganze Weile einfach nur anschauten, bemerkte sie, dass sich etwas in seinem Blick langsam veränderte, dann schaute er sich unauffällig, nur mit den Augen und ohne den Kopf zu bewegen um, und zog sie schließlich unter eine Treppe, wo er sich ohne zu fragen, nahm, was er wollte. Seine fordernde Entschlossenheit erregte sie sehr. So weit, wie es ging, schob er sie in die dunkle Ecke, beugte sie nach vorne, riss ihr die Hose vom Po, öffnete seine und drang von hinten in sie ein, stöhnte leise in ihr Ohr. Allein schon jede seiner Berührungen ließ sie erschaudern und sie fühlte sich wie in Ekstase über das, was sie tat, wo sie es tat und, vor allem, mit wem sie es tat, sodass sie schon nach wenigen Stößen kam und er kurz nach ihr.

Dann lehnte sie sich nach vorne auf, auf irgendwas Raues, Klammes - sie dachte gar nicht darüber nach, was es sein könnte - sondern genoss einfach nur, dass er sich auf sie lehnte und ihr erschöpft in den Nacken hauchte. Seinen warmen Atem im Nacken zu spüren, sein Herz bis an ihren Rücken schlagen zu fühlen, das alles war unbeschreiblich schön und löste einen kribbelnden Tornado in ihrem Bauch aus.

Nach einiger Zeit, in der sie dort hingen und wieder Kraft und Luft tankten, richtete er sich auf, half ihr beim Anziehen. Dieses unbändig schöne Gefühl, ihn so nahe bei sich zu fühlen, überrumpelte sie und sie musste tief durchatmen und einen dicken Kloß runterschlucken, der ihr in den Hals gestiegen war. Zum Abschied schlang er von hinten die Arme um ihre Taille und zog sich fest an sich, küsste sie sanft am Hals und verschwand über die Treppe.

 

Noch gar nicht begreifend, dass er schon wieder verschwunden war, drehte sie sich noch voller Glückseligkeit um und ließ diese erst noch ein paar lange Sekunden durch ihre Adern rauschen, bis sie verstand, dass er sie schon wieder hatte allein gelassen und sie schon wieder kein weiteres Wort gesprochen hatten außer ihrer knappen Begrüßung.

Da war er wieder – der Druck in ihrer Brust und diesmal breitete er sich in ihrem ganzen Körper aus, bis sie das Gefühl hatte, komplett von diesem Schmerz in den Boden gedrückt zu werden. Sie blieb in der Dunkelheit und vergrub ihr Gesicht in den Händen, um wehmütig zu schluchzen und zu weinen. Er will mich ja doch nur ficken, kam ihr in den Kopf, warum steigere ich mich da überhaupt so rein?! Scheiße. Scheiße, scheiße, scheiße!

Als sie sich wieder beruhigt hatte, schlich sie nach Hause, legte sich ins Bett. Eigentlich wollte sie heute wieder mit ihren Freunden weggehen, denn es stand nun das Wochenende bevor, doch alles das ignorierte sie und schlief bis zum nächsten Morgen durch.

 

5

Einige Tage lang lebte sie nur vor sich hin. Sie hörte sich zwar den Klatsch und Tratsch aus der Nachbarschaft an und lächelte, wenn ihr langjähriger Kumpel ihr von seiner neuen Freundin erzählte, und nahm auch nickend die Aufträge ihres Chefs entgegen, ihre Gedanken jedoch kreisten nur um ihren Fremden mit den flammenden Augen. Manchmal, wenn sie gar zu tief in Gedanken versunken war, begann sie vor Verlangen zu zittern und ihre Sehnsucht ließ sie Magenschmerzen haben.

 

Aber all dies versteckte sie, kehrte es tief nach innen und irgendwann, nachdem sie ihm dreieinhalb Wochen lang nicht mehr begegnet war, begann ihr Leben langsam wieder, normale Formen anzunehmen. Zwar träumte sie oft von ihm und wachte dann meistens traurig auf, doch zumindest tagsüber konnte sie sich weitestgehend ablenken.

Bis zu diesem Tage. Als es an der Tür klingelte, öffnete sie wieder einmal ohne nachzudenken mit dem Summer die große Hauseingangstür und dann ihre Wohnungstür. Sie erwartete ihre Schwester, da sie zum Einkaufen verabredet waren. Schnell zog sie sich ihr Kleid über, es war ein sehr warmer Herbsttag, und rannte in der Wohnung umher, während sie noch mit einem Handtuch ihre Haare trocken rubbelte, da sie gerade aus der Dusche gestiegen war.

Sie wollte gerade wieder ins Wohnzimmer gehen, da versperrte er ihr den Weg und durchbohrte sie mit seinem Blick.

Wie auf Kommando waren alle ihre Vorsätze und guten Zureden, die sie sich selbst gab, ihn völlig zu vergessen und ihm nie wieder zu verfallen, in den Eimer geworfen und sie schmiss das Handtuch auf den Boden und sprang ihn an, klammerte sich an ihm fest und küsste ihn wild. Er schob ihr Kleid ein Stück hoch, hielt sie am Po und trug sie in ihr Bett, wo sie sich leidenschaftlich liebten, als hätten sie sich Jahre nicht gesehen - wie es ihr auch vorkam. Oh Gott, wie habe ich das nur überstanden?, dachte sie durcheinander und stürzte sich wieder auf ihn, bewegte sich auf seinem Schoß, als gäbe es kein morgen. Sie hatte immer noch ihr Kleid an, das nur von zwei dünnen Trägern gehalten wurde, so eilig hatten sie es. Glücklich und wie unter Zauber lehnte sie sich mit dem Kopf nach hinten, wobei sie ihren Unterleib noch fester auf seine Männlichkeit schob. Er beugte sich zu ihr auf, hielt sie mit beiden Händen im Rücken und liebkoste ihr Dekoltée, das von goldenen Sonnenstrahlen gestreichelt wurde, und roch an ihr, durchströmt von Leidenschaft.

Nach Stunden stürzte sie geschafft von ihm, rollte sich auf die Seite und spürte, wie er sich von hinten an sie schmiegte. Während sie schwach, aber von tiefem Glück erfüllt, darüber lächeln musste, dass seine Locken ihren Rücken kitzelten, schlief sie ein. Ihre Schwester konnte vergebens klingeln und anrufen, keiner der Beiden bewegte sich auch nur einen Zentimeter.

 

6

Am nächsten Morgen erwachte sie und das erste, was geschah, war, dass sie in zwei strahlend grüne, lächelnde Augen blickte, die sie wach geküsst zu haben schienen.

Endlos erfüllt darüber, dass er noch bei ihr war, hauchte sie zart lächelnd ein „Hi“ zu ihm, woraufhin er lachend ein „Hi“ erwiderte. Dann rollte er sich, sich wohlig räkelnd und streckend, auf den Rücken und wieder zurück auf die Seite und atmete ein Mal tief ein und aus. Er ist so unmenschlich schön, dachte sie verträumt und kuschelte sich mit dem Kopf an seine Brust und drückte ihn ganz fest an sich. Doch wo warst du so lange nur? Was spielst du für ein Spiel mit mir, dass ich nur noch existiere, um dich irgendwann wieder zu sehen? Warum zum Teufel sprechen wir nie ein Wort miteinander? Doch während er mit seinen langen Fingern für viele wunderbare Minuten lang durch ihr Haar strich und ihre Stirn küsste, als wäre sie für immer sein, verselbstständigten sich ihre Gedanken wieder und sie wollte einfach nur genießen, so lange es ging.

Stundenlang lagen sie einfach nur Arm in Arm da, ineinander gekuschelt, als wäre es das Letzte, was sie tun, und lauschten gegenseitig ihrem Atmen.

 

Als er am späten Nachmittag aufstand und sich anzog, um zu gehen, tat sie das Gleiche, zog sich warm an und folgte ihm durch die Tür hinaus. Zuerst sah er sie verblüfft an, musterte sie einige Minuten mit Skepsis, nahm sie dann aber bald bei der Hand, was ein unerschütterliches Glück in sie zu treiben schien, und brachte sie in sein Zuhause.

Sie hielten vor einem sehr bröckeligen Altbau, der mal weiß gewesen sein musste, jetzt jedoch eine graue Fassade hatte, fuhren mit einem alten Aufzug mit scheppernden Eisentürchen in den vierten Stock und liefen dann noch ein Stockwerk zu Fuß die Treppen hoch, ins Dachgeschoss. Sie folgte ihm wie in Trance, als bestünde ihr ganzes Leben nur darin, bei ihm zu sein. Wie von einem Schleier belegt, gab es dort unter für sie nur noch ihn und der Rest der Welt wirkte ohne ihn sinnlos und stumpf.

Die Bretter auf dem Boden im Dach knarrten erschöpft, als hätten sie von ihrem ewigen Tragen die Nase voll. In seiner Wohnung überwältigte sie zuerst der Geruch von Holz und alten Büchern, der überall präsent war. Die Augen geschlossen nahm sie ein paar tiefe Atemzüge, um den Duft in sich aufzusaugen und bei sich zu behalten, bis er ihr von hinten den Mantel abnahm und ihr mit einem kleinen Stubs im Rücken zu verstehen gab, sie solle ruhig eintreten.

Bedächtig schritt sie voran. Es ist wie in einem bizarren Traum, ging ihr durch den Kopf, während sie sich umschaute. Er hatte ein kleines Bad und eine alte Küche mit dunklen Fliesen, ansonsten nur einen riesigen Raum, in dem man sehr unmissverständlich erkennen konnte, dass es ein alter Dachboden war, auf dem er wohnte. Eine düstere, aber angenehme Atmosphäre umhüllte sie hier und unter einer hohen Dachschräge stand ein schwarzer, etwas staubiger Flügel. Dem schräg gegenüber ein großes Bett mit schwarzem, metallenen Gestell, an dem hohe Verzierungen prangten, die von einem weißen Moskitonetz umhangen waren, die Bettwäsche bestand aus weißem Satin. Die Fenster waren sehr groß und im gotischen Stil gebaut, die Rahmen und Zwischenbalken mit weißer, etwas abgesplitterter Farbe gestrichen, und durch sie hindurch hatte man Ausblick auf die kleine, verlassene Straße, in der dieses Haus stand, und ein Baugerüst, das schon viele Jahre dort stehen musste, ein Stück dahinter begann ein Feld, das letztendlich zu einem weiten Wald führte, dessen Baumkronen die untergehende Sonne zu begraben begannen.

Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, weil er von hinten an sie heran trat und die Arme um sie wickelte, während sie aus dem Fenster sah. Entspannt lehnte sie den Hinterkopf an seine Stirn und legte ihre Hände auf die seinen. Mit geschlossenen Augen vergrub er sein Gesicht in ihren Haaren und nahm ihren Geruch in sich auf, dann kuschelte er seine Wange an die ihre.

Eine sehr lange Weile verharrten sie so und verfolgten gemeinsam den faszinierenden Stellenwechsel von Sonne und Mond, sogar einige hell funkelnde Sterne waren irgendwann zu sehen, als die Dunkelheit am frühen Abend gänzlich herein gebrochen war. Irgendwann schloss sie die Augen und dachte: Genau - das ist es. Genauso soll es für immer sein. Ich will hier niemals wieder weg, aus seinen Armen.

 

Bläuliches Licht erfüllte die Dachwohnung und draußen nahm sie das leise Tröpfeln von zartem Regen wahr, während er den Kopf hinten an ihre Schulterblätter legte, ihren Hals zärtlich küsste und sie langsam und mit rhythmischen Bewegungen befriedigte, sodass es sich anfühlte, als würde sie am ganzen Körper mit Samt gestreichelt. Mittlerweile war es gar nicht mehr die pure Lust, die sie antrieb, sondern einfach nur der Wunsch, ihn so tief wie möglich zu spüren, mit ihm eins zu sein, weil dies die einzigen Momente waren, in denen sie sich vollständig fühlte.

Bitte, lieber Gott, wenn es dich gibt, lass’ diesen Moment niemals enden, dachte sie traurig, denn sie wusste, was später wieder geschehen würde; ein Abschied auf Ungewiss, die Qual würde wieder von vorne beginnen. Eine Zeile aus einem Lied von

der Band A-HA klang ihr im Kopf: „Raindrops fallin’ from heaven could never take away my misery…“

 

Mitten in der Nacht, als sie schon Stunden, mit dem Kopf in seine Brust verkrochen, wach gelegen hatte, bemerkte sie irgendwann, dass der Regen einem leichten, verführerischen Nebel gewichen war, der den dunkelblau leuchtenden Himmel durchzog wie ein kalter Atemhauch, um sich mit dem fast vollen Mond zu einem anmutigen Tanz zu vereinen. Von irgendwo her drang ein einsamer Eulenschrei zu ihnen herüber, der durch den Spalt eines geöffneten Fensters sich nun in der Stille des Raumes ausbreitete.

Warum nur will er nicht mit mir reden, fragte sie sich, wovor hat er Angst, was ist an mir so falsch, dass er mich so auf Distanz hält? Und wieso gottverdammt habe ich dämliche Kuh mich trotzdem so sehr in ihn verliebt? Ich würde am liebsten in ihn hinein kriechen, mich für immer in ihm verstecken und überall von ihm umgeben sein, er könnte mich auffressen, auch das würde mich glücklich machen, nur für immer mit ihm verbunden sein, das ist alles, was für mich zählt.

Als sie vorsichtig ihren Kopf hob, sah sie, dass auch er anscheinend nicht schlafen konnte, denn er schaute starr an die Decke und atmete schwer auf, als sie sich in seinen Armen bewegte. Wenige Sekunden später blickte er sie an und es durchfuhr sie bis in die Knochen, wie er sie ansah, wie seine Augen im seichten Dunkel leuchteten und die Welt für sie bedeuteten, es war, als könne sie ihre Träume in seinen Augen wieder finden und alles Glück in ihnen aufbewahren.

Wieder machte sie den Versuch, etwas zu ihm zu sagen, holte Luft, doch er erstickte es, da er ihr mit zwei Fingern die Haare aus dem Gesicht strich und sie lange auf die Stirn küsste.

Erst wollte sie tief verletzt darüber sein, dass er alle ihre Versuche, eine Bindung auf einer anderen Ebene aufzubauen, blockierte, doch der Kuss auf die Stirn und die Wärme und Nähe, die sie dabei durchströmten und ihren ganzen Körper kribbeln ließen, überschäumte die Enttäuschung.

Als nächstes Stand er auf, zog sich eine schwarze Hose über, sodass der Gürtel daran klapperte, und holte sich eine Zigarette. Er steckte sie an, nahm ein paar Züge und hielt sie dann ihr hin, aufs Bett gestützt, woraufhin auch sie daran zog, während er die Zigarette noch in der Hand hielt. Dann bewegte er sich zu einem der Fenster, es war eher so groß wie eine Tür, öffnete es, lehnte sich seitlich an den Fensterrahmen und rauchte dort schweigend weiter, während sein Blick über das Feld hinüber zum Wald streifte. Der Rauch strömte ruhig hinaus und vermischte sich mit dem Nebel.

Wehmütig betrachtete sie den Mann, ohne den sie nicht mehr leben wollte, obwohl er ihr doch immer noch ein Fremder war; wie das Mondlicht seinen schmächtigen Oberkörper anleuchtete und seine weiße Haut mit den dunklen Tattoos in perlenartigen Farben schimmern ließ, wie seine Augenlider mit den dunklen Wimpern, die die schönsten Augen der Welt unter sich verbargen, sich hoben und senkten, und wie sein Brustkorb sich auf und ab bewegte; und sie wünschte sich, sie wäre nur einer seiner Atemzüge.

Es ist so wunderbar hier, in seinen Armen zu liegen, seinen Duft zu riechen, seine Haut zu fühlen. Ich brauche nichts, wenn ich nur bei ihm bin. Alles ist so leicht, wenn ich seine Nähe spüre. Vielleicht bleibe ich für immer hier bei ihm, werde einfach nie wieder diese Wohnung verlassen, dachte sie noch, kurz bevor ihr Körper schwer wurde und sie einschlief, während er schon die dritte Zigarette rauchte.

 

7

Erst mittags erwachte sie aus einem unruhigen Schlaf, wusste zunächst nicht, wo sie war. Den Schlaf noch in den Augen, rappelte sie sich auf, um sich umzusehen. Allmählich begriff sie, dass sie noch bei ihm war und seufzte erleichtert. Draußen schien die Sonne auf den bunten Wald, aus der Ferne glitzerte das Feld vom letzten Tau, doch sie fühlte sich unbehaglich, denn sie war allein. Sofort begann sie zu weinen, bitterlich zu weinen. Was nun? Wo war er? Sie fühlte sich gerädert, alles in ihr schmerzte. Wieder hatte sie nichts erreicht, konnte ihm nicht ein Stück näher kommen.

Sie versuchte, sich zu beruhigen, hüllte sich in eine der Decken und spazierte durchs Dach, hielt sich eine Weile in der Küche auf, studierte lange die außergewöhnlichen Fliesen.

Plötzlich erklang das Klavier – sie erstarrte. Eine wunderbare, schwere Melodie, fast melancholisch, sie trieb ihr erneut Tränen in die Augen, also schloss sie sie und lauschte der Musik. Nachdem einige Minuten verstrichen waren, wagte sie sich, den Klängen zu folgen und in den großen Wohnraum zu gehen. Vorsichtig schaute sie um die Ecke, um ihn nicht zu stören. Er saß mit geschlossenen Augen und nur in der schwarzen Hose von letzter Nacht bekleidet am Flügel, den Kopf ein wenig gesenkt, und ging mit der Musik, die seine Finger spielten. Seine linke Schulter wurde von der herein scheinenden Sonne zart golden gefärbt, seine Locken schienen sich wie im Takt zu bewegen. Am liebsten hätte sie ein großes Glas genommen und diesen wundervollen Moment darin festgehalten, um ihn nicht zu zerstören und für immer währen zu lassen, doch irgendwann ging sie näher. Die Bretter knackten und er schreckte auf, stand sofort vom Flügel auf, sah sie mit weit geöffneten Augen an.

Anscheinend hatte er nicht damit gerechnet, dass sie noch in der Wohnung war, wusste nun nicht, was er tun sollte und schlich ein paar Schritte rückwärts, seine Augen suchten einen Platz, auf dem sie ruhen konnten, doch er war zu aufgeregt. Enttäuscht ließ sie den Kopf hängen und musste aufs Neue viele Tränen runter schlucken.

Unsicher, was er tun sollte, stand er einfach nur stocksteif da und schaute sie entgeistert an. Als sie begriff, dass er nicht vorhatte, weiter zu handeln, holte sie ihre Sachen unterm Bett hervor, zog sich an und ohne ihn noch einmal anzusehen, lief sie aus der Wohnung. Tränenblind rannte sie die vielen Treppen hinunter, stürzte dabei, stand wieder auf, wollte fluchen, doch statt des Fluchens kam nur ein lautes Weinen.

 

8

Stunden später, als sie ihre Wohnung betrat, völlig aufgelöst, durchnässt vom lauen Herbstregen, in dem sie lange umher geschlichen war, nahm sie ihr Mobiltelefon zur Hand. Elf Anrufe in Abwesenheit. Acht von ihrem Chef und drei von ihrer Freundin. Was war es für ein Tag? Es musste Montag sein. Sie hatte vollkommen das Zeitgefühl verloren. Statt zurück zu rufen, schmiss sie ihr Handy in eine Ecke und legte sich ins Bett, weinte dort eine lange, lange Zeit, bis es dunkel wurde. Sie hatte das Gefühl, als würde sich ihr Körper von innen nach außen stülpen, so sehr weinte sie. Insgeheim hoffte sie, sie würde einfach so lange weinen, bis ihr ganzes Leben aus ihr raus wich, doch sie weinte und weinte einfach weiter, ohne das Gefühl, jemals wieder aufhören zu können. Am Abend ging sie kurz duschen und legte sich dann wieder hin, um weiter zu weinen.

 

Am nächsten Morgen wurde sie von dem Klingeln ihres Haustelefons geweckt. Langsam trottete sie hin und zögerte erst, bevor sie den Hörer abhob. Ihr Chef, der sie sofort zur Sau machte. Sie entschuldigte sich mit der Ausrede, die hätte gestern den ganzen Tag kein Wort heraus bringen können, weil sie so erkältet wäre und meldete sich für die nächste Woche krank.

Von da an ging sie nie wieder ans Telefon.

 

In den nächsten Tagen saß sie nur noch am Fenster, weinte laut und unerbittlich, hörte Musik und ging irgendwann schlafen, wenn ihr Körper schlapp machte.

 

Irgendwann in diesen Tagen klingelte es an ihrer Tür. Zuerst beschloss sie, nicht zu öffnen, doch das Klingeln hörte eine halbe Stunde lang nicht auf, bis sie nachgab, den Summer betätigte und ihre Tür öffnete.

Innerhalb weniger Sekunden stand er vor ihr. Erschrocken sah sie ihn an, in seine unbeschreiblich schönen Augen. Voller Hoffnung wartete sie auf eine Aktion von ihm, ein paar Worte. Kurz holte er Luft, hielt dann aber Inne und strich nervös mit den Fingern, die in Halbfingerhandschuhe gehüllt waren, über das abgenutzte Holz ihres Türrahmens und steckte auf eine jungenhafte Art unsicher die untere Hälfte seines Gesichts in den schwarzen Schal, den er trug.

Das Herz pochte ihr bis zum Hals, doch war sie unsicher, was nun geschehen sollte.

Ihr Blut und ihre Tränen kochten auf, innerlich wand sie sich und schrie ihn an, schrie ihn um seine Liebe an, doch nach außen hin stand sie einfach nur da und wartete ab. Bitte, tu etwas, sprich etwas, bitte, bitte, bitte…, dachte sie niedergeschlagen, doch nach vielen Minuten schaute er ihr nur verzweifelt in die Augen, machte kehrt und verschwand wieder.

Von da an ging sie nie wieder an die Tür.

 

Noch ein paar Wochen lang vegetierte sie so vor sich hin. Sie hatte sich weiterhin krank gemeldet. Ihre Tage verliefen immer gleich: Sie wachte irgendwann auf, begann sofort jämmerlich zu weinen, laut und ungedrosselt, und hörte erst wieder auf, wenn sie im Dunkeln wieder einschlief.

Die Sonne von draußen berührte sie nicht mehr, die Vorhänge an ihren Fenstern hatte sie stets und ständig geschlossen, die ganze Welt war ihr egal. Sie fühlte sich, als würde sie niemals wieder glücklich werden.

Am liebsten hätte sie sich ihren Brustkorb aufgekratzt, um sich all ihre Organe rauszureißen, um dieses grauenvolle Etwas aus sich rauszureißen, das schon vollkommen von ihr Besitz genommen hatte. Die Schwärze in ihrem Gemüt, in ihr drin und überall um sie herum, war nun unverdrängbar präsent, drängte sich ihr auf, stürzte sich auf sie, hielt sie fest und erdrückte sie von Sekunde zu Sekunde mehr, bis sie in manchen Momenten dachte, gleich würde sie ersticken. Alles war nur noch schwarz.

Manchmal weinte sie so sehr, dass sie sich übergeben musste, und doch war es niemals genug, um die Trauer aus sich raus zu holen. Am liebsten hätte sie sich die Haut vom Leibe gerissen, um alles von sich abzuschälen, oder wenigstens mal etwas anderes zu fühlen, als dieses qualvolle Loch in sich wachsen zu spüren, in dem sich alles Böse und alle Traurigkeit der ganzen Welt zu sammeln schien.

Alles, was sie wollte, war nur ein einziges Wort von diesem Mann mit den wunderschönsten Augen, doch er wollte nicht.

Alles war sinnlos und leer, sie war nur noch erfüllt von Schmerz. Und von Qual. Und von tiefer Trauer.

 

9

Lange Tage saß er an seinem Flügel und spielte traurige Melodien, dachte an das fremde Mädchen, das er so gern hatte, doch nicht wusste, wie er agieren sollte. Hatte er alles zu lange hinaus gezögert? Es hatte als ein spannendes Spiel ohne viele Worte begonnen, war es nun zu spät, um alles zu vertiefen? Er wusste selbst nicht, was in ihn gefahren war, als er plötzlich spürte, das er mehr von dieser Frau wollte, als ihren Körper zu begehren, niemals war er wirklich verliebt gewesen, niemals so sehr. Es hatten

ihm fremd erscheinende, doch unignorierbare Gefühle in ihm zu wohnen begonnen, aber er hatte keine Ahnung, wie er mit ihnen umzugehen hatte.

 

Doch irgendwann fasste er den Entschluss, noch einmal zu ihr zu gehen. Diesmal würde er mit allem raus platzen, all die Worte, die er schon in sich hatte, würde er ihr nun wirklich sagen, nicht mehr kneifen, aus Angst, etwas Besonderes zu zerstören. Er hatte begriffen, dass diese unbeschreiblichen Gefühle, die ihn ihm gewachsen waren, das wirklich Besondere waren.

 

Er sprang vom Klavier auf, zog einen feinen Anzug an, besorgte sich eine Rose, eine dunkelrote Rose, und machte sich auf den direkten Weg zu ihr.

Die große, gläserne Hauseingangstür unten war offen, dahinter stand ein ziemlich alter

Mann mit einem genauso alten Filzhut, der gerade den Hausflur fegte. Sie wohnte im ersten Stock, er flog beinahe die wenigen Stufen zu ihr hoch, ganz nah an sein fremdes Mädchen, klopfte. Klopfte noch einmal, wartete einige Minuten.

Klopfte dann erneut. Lauschte an der Tür nach Lauten. Er lehnte einen Unterarm an die Tür und seine Stirn an seinen Unterarm, räusperte sich. Dann begann er, laut zu sprechen, mit einer tiefen, rauen Stimme. „Hallo? Fremdes, bezauberndes Mädchen, bitte melde dich.“ Er wartete.

„Es tut mir Leid, dass ich so feige war, nicht früher damit rauszurücken, doch du faszinierst mich bis ins Unermessliche. Ich habe es zu lange als ein schönes Spiel gesehen, doch mir ist klar geworden, dass ich mehr von dir wissen möchte. In deiner Nähe fühle ich mich so wohl. Und obwohl mir klar ist, dass wir uns kaum kennen, muss ich mir eingestehen, dass ich mich in dich verliebt habe.“

 

In dem Moment breitete sie die Arme aus, schloss die Augen und ließ sich vom Dach fallen.

Heute waren schon 1 Besucher (7 Hits) hier!
Diese Webseite wurde kostenlos mit Homepage-Baukasten.de erstellt. Willst du auch eine eigene Webseite?
Gratis anmelden